Wenn es nur noch teurer wird oder «Law of Diminishing Returns»
In der Musikwiedergabe hat sich in den letzten Jahren dank Smarphone, Streaming & Co so viel getan, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Schon kleine Boom-Böxli für unterwegs spielen so laut, dass sie sogar für die spontane Party genügen. Auch gegen oben – sprich: grösser, aufwändiger, edler, anspruchsvoller, teurer – tut sich im HiFi- und High-End-Markt so einiges. Zuletzt haben die Gerüchte über die Zukunft der Traditionsmarken Marantz, Denon und B&W unter Insidern einiges zu reden gegeben und die Aufmerksamkeit auf den kleinen High-End-Markt gelenkt (Stand Januar 25: alles ist offen). Basierend auf einer Entdeckung in einem Schaufenster und einer Diskussion unter Freunden über Sinn und Unsinn von teuren High-End-Anlagen, habe ich meine Gedanken dazu hier aufgeschrieben und mit Beispielen untermauert. Konstruktives Feedback hierzu: sehr gerne 😀
Zuerst: wo hört HiFi auf, wo beginnt High-End?
Kurz gefasst stellt HiFi die Basis für hochwertige, erschwingliche Klangqualität dar, die den meisten Hörer:innen komplett ausreicht und alltagstauglich ist. Hingegen hat High-End-Audio den Anspruch, perfekte und exklusive Geräte mit maximal möglicher Klangqualität, erlesene Materialien gepaart mit technischem Woodoo («High-End-Audio ist eher Kunst als Technik.») hervorzubringen. Eine klare Grenze gibt es nicht, jeder Hersteller definiert die Einordnung für sich. Dennoch ist der Preis vermutlich das wichtigste Kriterium: Wenn ich beispielsweise ein Lautsprecherpaar für CHF 240’000.- kaufen möchte, müssen dann auch die restlichen Geräte fast zwangsläufig in dieser Preisklasse (Endstufe: 170’000.-, Netzwerkplayer: 20’000.-, etc.) sein? Vermutlich nicht zwingend, aber dazu später mehr.
Das Gesetz des abnehmenden Ertrages («Law of Diminishing Returns»)
Dieses Gesetz beschreibt, dass die Zunahme oder oder Gewinn an Klangqualität oder Leistung mit steigenden Kosten immer kleiner wird. Oder konkret: gegenüber eines Bluetooth-Lautsprechers für 500.-, kannst du die Klangqualität mit einer HiFi-Anlage für 1’000.- praktisch verdoppeln. Vergleichst du aber eine HiFi-Analge von 5’000.- mit einer für 10’000.-, wirst du nicht mehr das doppelte an Klangqualität oder Leistung erhalten.
Das lässt sich gut anhand eines Beispiels aus meiner Praxis aufzeigen: der WLAN-Lautsprecher Octavio Maestro kostet in der Single-Version 639.-. Solider Lautsprecher, kann streamen, Internetradio, es können externe Quellen wie Plattenspieler angeschlossen werden. Klingt gut. Daneben bekommst du für 1’698.- eine Anlage bestehend aus separatem Verstärker mit eingebautem Streamer und Anschluss für Plattenspieler & Co,, solide Kabel und zwei Regallautsprecher. Der Gewinn ist 100%, weil Stereo, sehr viel mehr Klangvolumen und Ausbaufähgikeit.
Zum Beispiel WLAN-Lautsprecher
Octavio Maestro Single WLAN-Lautsprecher mit solidem Klang, einfach in der Handhabung und auch als Stereo-Version erhältlich.
Zum Beispiel Al-in-one-Anlage
Lauschmittel-Kit Atelier bestehend aus Streamer/Verstärker, einem Paar Regallautsprecher, Kabel, Montage. Guter Klang und Erweiterungsmöglichkeiten.
Wenn wir nun eine Stufe nach «oben» gehen, wird die Luft schon dünner. Auch das möchte ich gerne mit einem Beispiel illustrieren: Angenommen, du kaufst die Tannoy Eaton in Kombination mit einem Vincent SV-237MkII, beispielsweise als Lauschmittel-Kit. Das klingt wirklich schon sehr, sehr gut, du kannst aber gewiss noch mehr rausholen. Also besorgst du dir mit dem SV-700 einen fast doppelt so teueren Verstärker – ganz nach dem Motto «Leistung ist durch nichts zu ersetzen». Fazit: der SV-700 wird nicht doppelt so gut klingen, die Verbesserung liegt vielmehr in einzelnen Bereichen wie präzisere Basswiedergabe, einer ausgeprägteren Räumlichkeit und höherer Dynamik. Im 1:1-Vergleich wirst du vielleicht noch weitere Unterschiede heraushören.
Wo ist die Grenze des Sinnvollen?
Nun, gewiss gibt es sehr gute Geräte, welche in Kombination mit anderen ebenfalls sehr guten Geräten ein Optimum an Klangqualität zu bieten haben. Dabei müssen es nicht mal Geräte sein, die einfach nur teuer sind, um sich an der Preiskategorie der teuersten Komponente zu orientieren. Sie müssen einfach gut klingen. Oder?
Bevor ich meinen Vorschlag einer aus meiner Sicht perfekten High-End-Anlage mit sehr gutem Preis-Leistungs-Verhältnis präsentiere: du hast bestimmt auch ein Bild im Kopf, wie diese Anlage aussehen könnte. Teile das doch mit mir, ich bin interessiert an deiner Meinung.
Also, meine «Grenze des Sinnvollen» – respektive die Grenzen, ab welcher sich eine Investition nicht mehr unbedingt auf bessere Klangqualität auswirkt – besteht aus folgenden Komponenten:
Plattenspieler Thorens TD 124 DD mit Ortofon SPU 124
Verstärker ASR Emitter II mit Akku-Netzteil
Phonovorverstärker ASR Basis Exclusiv
DAC Vincent DAC-700 mit Streamer Octavio Stream
Lautsprecher Tannoy Kensington GR
und hochwertige Kabel dazwischen, ohne zu übertreiben (siehe Blogbeitrag zur Kabelfrage)
Zugegeben, damit sind wir schon im Bereich eines gut ausgestatteten Familienautos, also knapp etwas unterhalb 60’000.-. Diese Kombination bietet – wie viele andere Marken in diesem Bereich auch – vernünftiges High-End vom Feinsten, ohne ins Alchimistische oder in absurde Materialisierung abzudriften.
Ein Beispiel für das «Alchimistische» gefällig? Das Kabel für die Übertragung des digitalen Signals vom Streamer auf den DAC ist eine Glasfaser, welche nichts anderes tut als Informationen aus 0 und 1 zu übertragen. Ein Standardkabel hierfür kostet rund 20.-. Es überträgt 0 und 1. Nun gibt es im High-End Sektor genau gleiche Kabel, die mehr als 500.- kosten. Sie übertragen 0 und 1. Dafür sind die Stecker vergoldet. Bringt aber nichts, weil das Signal ja durch die Glasfaser geht…
Oder ein Beispiel für die Materialisierung: der Lautsprecher Vivid Moja M1 bringt pro Stück fast 350 kg auf die Waage, beheimatet 13 Lautsprecherchassis, misst 1660 x 660 x 1210 mm und kostet pro Paar über 400’000.-.
Viel wichtiger erscheint mir, dass die einzelnen Komponenten optimal aufeinander abgestimmt sind. Und damit meine ich die gesamte Kette, beginnend mit der Quelle und bis zur Empfänger beziehungsweise deinen Ohren. Zentral erscheint mir die Kombination aus Plattenspieler, Tonarm und Tonabnehmer. Hier hast du viel Potential, um aus deiner Anlage mehr zu holen.
Thorens TD 124 DD mit Tonabnehmer Ortofon SPU 124
Dann der Verstärker: das muss gewiss kein Leistungsmonster sein, eine gute Abstimmung auf den Wirkungsgrad der Lautsprecher und eine sehr, sehr gute Speisung sind viel wichtiger. Darum ist meine Wahl auf den ASR mit Akku-Netzteil gefallen. Damit kannst du T-Träger schweissen 😅 und jede noch so kritische Box bis fast zum Kurzschluss befeuern. Dieser Verstärker ist schlich und einfach atemberaubend.
ASR Emitter II mit Akku-Netzteil (Bild: Fairaudio)
Nebst der oben genannten Quelle sind die Lautsprecher jene Komponente, wo du am ehesten Unterschiede deutliche heraushören kannst. Jeder Hersteller hat seine Charakteristik und Interpretation, wie die Musik optimal klingen muss. B&W, Sonus Faber, Dynaudio, Dali, Tannoy (um nur ein paar zu nennen) klingen unterschiedlich. Aber nicht besser oder schlechter, sondern eben gemäss ihrer Interpretation. Der natürliche, warme, einhüllende und räumlich beeindruckende Klang der Tannoy Kensington lässt mich immer wieder aufs neue in die Musik eintauchen – und ich denke genau so, wie der Musiker sich vorgestellt hat, dass es klingen muss? Vielleicht.
Doch um die Güte eines jeden Lautsprechers voll zur Geltung zu bringen, ist die korrekte Aufstellung und Justierung absolut zwingend. Ein aufwändiger, spannender Prozess, denn manchmal kann ein Zentimeter vor oder zurück bereits den Unterschied machen.
Tannoy Kensington
Möchtest du nun die Klangqualität gegenüber der hier vorgeschlagenen Anlage steigern, wird es schnell sehr viel teurer. Und wohlgemerkt, wir sprechen dabei von klanglichen Nuancen, es sind keine Sprünge mehr möglich, die Kurve flacht ab hier stark ab.
Und wer ist der Empfänger?
Und nun noch ein Wort zum Empfänger, unserem Ohr. Also bei mir ist nachweislich bei maximal 14’000 Hz Schluss. Da kann auch Schalldruck nicht helfen, ist einfach so und nimmt weiter ab. Übrigens ganz normal, ab dem 20. Altersjahr baut das Hörvermögen in den hohen und später auch in den mittleren Lagen ab. Doch kürzlich liess ich mir erklären, dass mit sogenannten Supertweetern mit bis 45’000 Hz der Klang nachhaltig verbessert werden könne. Für Fledermäuse vielleicht, aber nicht für Menschen, auch nicht ganz junge. Auch die Erklärung, dass man die Schwingungen anstelle des Gehörs über die Knochen aufnehmen könne, ist doch etwas weit hergeholt. Und noch einmal: Viel wichtiger und entscheidend dafür, dass eine Anlage – und mag sie noch so teuer gewesen sein – optimal klingt und ihr Potential ausschöpfen kann, ist die Aufstellung der Lautsprecher und die Anpassung auf den Raum. Die richtige Hörposition auf dem Sweet Spot kommt hinzu, aber auch das Raumgefühl, Wohlbefinden, die Abwesenheit von Störfaktoren. Mit dieser Kombination gerät jede Hörsession zum absoluten Genuss, ab einem bestimmten Punkt fast unabhängig vom Preis der Anlage.
Welche Erfahrungen hast du gemacht? Welche ist deine Anlage auf der Schwelle zum Deminishing Return? Lass es mich wissen.